Das Ensemble Alter Ratio mit Vokalmusik aus der Ukraine

Ensemble Alter Ratio, Konzert "Mariologia"
Das Ensemble Alter Ratio | Фотограф Иван Деркач

Das ukrainische Ensemble Alter Ratio hat die CD „Mariologia“ bereits 2018 herausgebracht. Meine Rezension ist im Februar 2019 in der Zeitschrift MusikTexte erschienen (Nr. 160, S. 94). Da die Aufmerksamkeit gegenüber der ukrainischen Kultur seit Beginn des russischen Angriffskriegs stark gewachsen ist, bietet sich eine Wiederveröffentlichung in überarbeiteter Form an.

Strahlende Präsenz des Klangs ist ein Hauptmerkmal des unter der Leitung von Olga Prykhodko musizierenden Vokalensembles Alter Ratio aus der Ukraine. Der Chorstil des Ensembles, das auch schon mit Meredith Monk zusammengearbeitet hat, steht in der Tradition des gemeinschaftlichen Gesangs, wie er in der Liturgie der Ostkirche praktiziert wird. Ein meditativer Grundzug herrscht vor, doch schließt das klangschöne dramatische Entfaltung keineswegs aus.

Davon können die Werke der vier Komponisten profitieren, die auf der vom Institut für Religionswissenschaften in Kiev unterstützten Doppel-CD „Mariologia“ erschienen sind. Jeder der Vier hat die vier liturgischen Gesänge der sogenannten Marianischen Antiphonen neu vertont: Alma Redemptoris Mater, Ave Regina Caelorum, Regina Caeli und Salve Regina. Das haben sie auf höchst unterschiedliche Weise getan.

Der satte zwölfstimmige, harmonisch changierende Cluster, mit dem die Komposition von Maxim Shalygin beginnt, springt einen förmlich an, die weiteren Sätze vertiefen den suggestiven Eindruck bis in die Pianowirkungen hinein. Die individuelle Linie ist eingebettet in einen warmen Gesamtklang, ein intensiv leuchtendes, vielfarbiges und enorm bewegliches körperhaftes Gebilde. Svyatoslav Lunyov begleitet die Chorstimmen mit Harfe und Schlagzeug und schreibt für eine reduzierte Besetzung, Maxim Kolomiiets wählte Oboe und Schlagzeug als Begleitung und arbeitet mit scharfen Dissonanzen, die kammermusikalisch aufgelöst sind und bis zum Geräuschklang reichen. Alexey Retinsky bettet in Salve Regina eine wie aus der Ferne hereinklingende Stimme in numinose Klangflächen ein.  Die Ausdruckskraft dieses liturgisch verankerten Chorgesangs iist groß, seiner Faszination  kann man sich kaum  entziehen.

Die Aufnahmen sind 2018 veröffentlicht worden, als der russische Angriffskrieg in der Ukraine bereits im Gange war.  Dass dort Krieg herrscht, ist uns erst seit dem 24. Februar 2022 so richtig klar geworden. Und so fällt es uns heute auch leichter zu verstehen, was diese Musik für die Menschen in der Ukraine bedeutet: Sie bildet einen geistigen Orientierungspunkt in einer Situation der existenziellen Gefährdung.

Alter Ratio: Kontakt

Die Apple Classical App

Am 28. März wurde die Apple Classical App freigeschaltet, und dort kann man nun zum Preis von 10,99 Euro monatlich Musik Werke von Hildegard von Bingen bis Wolfgang Rihm in zahllosen Interpretationen hören. Von Perotins Viderunt omnes sind 23 Aufnahmen vorhanden, Beethovens Fünfte gibt es in 1.265 Versionen, Schuberts Streichquintett wird 492 mal angezeigt, Stockhausens Mantra immerhin fünfmal. Die reinen Zahlen sind beeindruckend. „Die Apple Classical App“ weiterlesen

CD-Taufe mit Werken von Michael Quell

Das Ensemble der gelbe klang bei der CD-Taufe mit Michael Quell, Schwere Reiter MünchenDie neue CD von Michael Quell mit Kompositionen aus den Werkreihen „energeia aphanés“ und „String“ (2013-2019) erlebte nun im Münchner Veranstaltungszentrum Schwere Reiter ihre CD-Taufe (Programm). Es war das erste Live-Konzert im Schwere Reiter nach einer langen Corona-Pause. Interpreten waren das 2020 gegründete Ensemble der/gelbe/klang, das auch auf der CD zu hören ist. „CD-Taufe mit Werken von Michael Quell“ weiterlesen

Noriko Kawakami: Kreativität und Kraft

Noriko Kawakami CD NeosNoriko Kawakami, die 1987 von  Japan nach Europa kam und zuerst bei Klaus Huber, dann bei Nicolaus A. Huber studierte, hat im kulturellen Spannungfeld zwischen Ost und West zu ihrer eigenen Musiksprache gefunden. Es ist die Sprache einer starken Persönlichkeit. „Noriko Kawakami: Kreativität und Kraft“ weiterlesen

Der Komponist Michael Quell und die Dark Matter

Michael Quell CoverDer Komponist Michael Quell schreibt  Musik für wache Zeitgenossen. Unterscheidet man zwischen Kompositionen, die unmittelbar über ihren Klang zum Hörer sprechen und ihr Innerstes wortlos offenbaren, und solchen, die ihr Potenzial erst in Verbindung mit begrifflicher Reflexion zur Entfaltung bringen, so gehören seine Werke fraglos zur zweiten Kategorie. „Der Komponist Michael Quell und die Dark Matter“ weiterlesen

Vokalwerke von Cecilie Ore

Cecilia Ore Come to the EdgeDie CD von Cecilie Ore beginnt vielversprechend: Die Aufforderung „Come to the Edge“ – es ist zugleich der Titel des ersten Stücks – wird eindringlich und variantenreich, aber nie aufdringlich wiederholt. Die weichen Dissonanzen des homophonen, harmonisch raffinierten Chorsatzes verleihen der Aussage „Vokalwerke von Cecilie Ore“ weiterlesen

Die Welt der Graciela Paraskevaídis

CD Cover Graciela ParaskevaídisGraciela Parasakevaídis gehört zu denjenigen Komponisten und Komponistinnen, deren Qualitäten leider erst nach ihrem Tod so richtig entdeckt werden. Wer es noch nicht gemacht hat, kann es mit dieser CD nachholen. „Die Welt der Graciela Paraskevaídis“ weiterlesen

Hugues Dufourts sinfonisches Schlagzeugstück „Burning Bright“

Hugues Dufourt, Burning Bright„Burning Bright“ lautet der Titel dieses rund einstündigen, für die Percussions de Strasbourg geschriebenen Schlagzeugstücks. Hugues Dufourt, Komponist, Wissenschaftsphilosoph und Theoretiker der ehemaligen Gruppe der Spektralisten, liebt die großen, mit strategischer Intelligenz entworfenen Formen, und seine „Hugues Dufourts sinfonisches Schlagzeugstück „Burning Bright““ weiterlesen

Die Vokalkunst der Joan La Barbara

LaBarbara CDExperimentelle Vokalmusik gibt es seit den 1950er Jahren in unzähligen Schattierungen, doch so überzeugende Großformate, wie sie Joan La Barbara in den vorliegenden drei Stücken aus den Jahren 1976-81 nur mit ihrer Stimme und wenigen technischen Hilfsmitteln geschaffen hat, „Die Vokalkunst der Joan La Barbara“ weiterlesen

Das Chorschaffen von György Kurtág

György Kurtag CDGyörgy Kurtág ist inzwischen über neunzig Jahre alt und schreibt unverdrossen weiter seine Musik. Gegenwärtig ist er an seiner ersten Oper nach Beckett für die Salzburger Festspiele. Eine Beckett-Vertonung, „What Is The Word“, enthält auch die hochkarätige Edition mit dem gesamten Chorschaffen und weiteren Vokalkompositionen, „Das Chorschaffen von György Kurtág“ weiterlesen