Zum Interview mit John Cage

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Das vorliegende Interview ist fünfzig Jahre alt: Es entstand im Juli 1970 im südfranzösischen St. Paul de Vence, wo John Cage bei einem Festival auf dem Gelände der Fondation Maeght zusammen mit der Merce Cunningham Dance Company eine Serie von Aufführungen realisierte. Erstveröffentlicht wurde es 1970 in der Nummer 6 der von Studenten des Konservatoriums Zürich herausgegebenen Zeitschrift „Dissonanz“. 2002 wurde es auf der Seite beckmesser.de wiederveröffentlicht und von dort 2020 auf die neue Seite beckmesser.info transferiert.

Das Interview bezieht sich auf die durch die damalige Studentenbewegung entfachte Diskussion über mögliche revolutionäre Veränderungen in der Gesellschaft und über die Rolle der Kultur in diesem Prozess. Cage wurde damals in Europa von seinen Anhängern als revolutionärer Künstler wahrgenommen; in seinen künstlerischen Konzepten erblickte man Modelle für ein gesellschaftsveränderndes Handeln. Zu seinen Leitsprüchen gehörte: „The best government is no government.“ Mit diesen anarchistischen Ideen folgte er allerdings nicht der europäischen, auf Bakunin zurückgehenden Tradition, sondern der amerikanischen  von Henri David Thoreau.

Manches an Cages Äußerungen ist stark zeitgebunden. Jedoch zeigen sich darin auch die charakteristischen Konstanten seines Denkens, etwa der erwähnte Individualanarchismus, sein puritanisch-rationalistischer Glaube an die Verbesserung der Welt oder die Betonung des gewaltfreien Handelns. Auffällig ist sein Fortschrittsoptimismus, der heute noch naiver erscheint als damals, zumal er der Meinung ist, dass sich als Folge des technisch-ökonomischen Fortschritts der soziale Fortschritt gleichsam von selbst einstelle. Diese Auffassungen dürften stark durch die Ideen von Buckminster Fuller geprägt sein, dessen überzeugter Anhänger Cage damals war.

Interessant sind seine Feststellungen zum kulturellen Verhältnis der USA zu Europa und zu den Entwicklungsländern. In ihnen schimmert die Überzeugung durch, dass sich der westliche Lebensstil selbstverständlich weltweit durchsetzen werde. Seinen Optimismus trägt er mit leicht  propagandistischen Untertönen vor. Immerhin ist seine These von der weltweiten Hebung des Lebensstandards inzwischen durch die Globalisierung bestätigt worden. 1970 ist Cages der radikale Aufklärer, der den Menschen von einer lichten Zukunft kündet. Gegenüber solchen Positionen war schon immer Skepsis angebracht, und vor den weltweiten Erfahrungen der letzten Jahrzehnte erscheinen sie in einem zunehmend zweifelhaften Licht.

Max Nyffeler, 2002/2020

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